15.2.2021

Gebäude neu denken: Weniger, dafür in höherer Qualität

In unserem Artikel „Klimakrise: Nur so viel bauen, wie wir wirklich brauchen“ haben wir uns mit der Quantität des Bauens beschäftigt. Also: Mit der Fläche, die Unternehmen für ihren Bedarf wirklich, wirklich neu errichten „müssen“. In diesem Artikel widmen wir uns der Frage, in welcher Qualität soll diese Fläche zukunftsfähig errichtet werden, um einen möglichst kleinen CO2-Fußabdruck zu hinterlassen.

Dazu veranstalteten wir bereits im November 2020 ein ExpertInnen-Webinar mit dem Cradle2Cradle-Pionier Prof. Michael Braungart, der Architektin Dorothee Stürmer (Architektur für Büro + Stadt) und Markus Winter (Geschäftsführer, Windkraft Simonsfeld AG). Ihre Sichtweisen sind in diesen Artikel miteingeflossen.

Wir blicken aus diesen fünf Blickwinkeln auf die Gebäudequalität. © M.O.O.CON

Vergangenheit - Gegenwart - Zukunft des Bauens

Früher war das Aussehen von Gebäuden regional geprägt und die verwendeten Baustoffe regionaltypisch. Mit der Industrialisierung, und später noch stärker mit der Globalisierung, veränderten sich die Möglichkeiten komplett. Damit entstehen neben dem „CO2-Rucksack“ der Gewinnung und Fertigung auch Emissionen aus Verkehr und Logistik.

Durch gestiegene Anforderungen an Wärmeschutz, Sicherheit und andere Bereiche sind völlig neue Baustoffe entstanden, die diesen Anforderungen gerecht werden können. Um nur einige Beispiele zu nennen: Stahlbetonverbindung für eine robuste Konstruktion mit langer Lebensdauer, Dämmstoffe für die Verbesserung des Wärmeschutzes, Brandschutz-Materialien, Dichtschäume, etc.

Waren noch in der Gründerzeit Ziegel, Holz und Stahl im Einsatz, so stehen wir heute vor einer unglaublich breiten Baustoffpalette mit Sonderstoffen deren Gewinnung, Entsorgung und Wiederverwendung in zunehmendem Maß Probleme aufwirft.

Bausektor verbraucht die meisten Erd-Rohstoffe überhaupt

Die Baubranche ist eine der HauptkonsumentInnen der endlichen Ressourcen unserer Erde: In Deutschland werden jährlich über 500 Millionen Tonnen mineralischer Rohstoffe (Österreich: 80 Millionen) verbaut, was etwa 90 Prozent (Österreich: 80 Prozent) des gesamten inländischen Verbrauchs an mineralischen Rohstoffen ausmacht1.

Durch Abbruchtätigkeiten ist die Baubranche für einen beträchtlichen Teil des gesamten Abfallaufkommens verantwortlich. Zudem liegt beispielsweise in Deutschland der Anteil des gebäuderelevanten Energieverbrauchs am jährlichen Gesamt-Energieverbrauch bei ca. 35 Prozent2. Wobei 2019 42 Prozent3 (Österreich: 75 Prozent4) dieses Energiebedarfs durch erneuerbare Energien gedeckt wurde. 

Der Anteil des Gebäudesektors an den gesamten nationalen CO2-Emissionen liegt bei ca. 28 Prozent5 (direkte und indirekte Emissionen; Österreich: 16,1 Prozent6). Heute, vor dem Hintergrund einer weiterwachsenden Bevölkerung, wird uns Menschen zunehmend bewusst, dass die Ressourcen unseres Planeten endlich sind. Seien es die fossilen Energieträger (wie Erdöl, Kohle oder Erdgas) oder andere Ressourcen, wie z.B. Wasser oder Sand – die weltweit am meisten konsumierten Rohstoffe7.

Auch wenn die Wiederverwendungsquote des mineralischen Bauschutts in Deutschland bei fast 90 Prozent liegt8geht ein Großteil der Ressourcen durch Downcycling verloren, da die Verwendung als Füllmaterial oder als Untergrund für den Straßenbau aus Sicht vieler KritikerInnen keine echte Wiederverwendung darstellt.

Wie können wir also unsere Ressourcen besser nutzen?

Von der Wiege zurück in die Wiege

Eine Antwort auf diese Frage erläutert der Begründer des Cradle2Cradle-Konzepts Prof. Michael Braungart. Das Konzept sieht die sichere und potenziell unendliche Zirkulation von Materialien und Nährstoffen in Kreisläufen nach dem folgenden Prinzip vor: Alle Inhaltsstoffe sind chemisch unbedenklich UND kreislauffähig. Müll im heutigen Sinne gibt es nicht mehr, sondern nur noch nutzbare Nährstoffe oder wiederverwendbare Produkte. „Gebäude wie Bäume, Städte wie Wälder“ – das ist die Zukunftsvision der Cradle2Cradle-Bewegung. Eine großartige und überaus erstrebenswerte Idee! Dazu braucht es eine Vielzahl an Cradle2Cradle-zertifizierten Produkten, durchdachte Rücknahmesysteme und Materialdatenbanken in großem Stil. Ein großes Stück Arbeit, das noch vor uns liegt.

Die Bedeutung von Erneuerbarkeit und Wiederverwendbarkeit in der Bau- und Planungsphase bleibt DAS Gebot der Stunde. Und hier machen besonders die „Kleinigkeiten“ in der Planung und Ausführung der Baukonstruktion den großen Unterschied: Gesteckt statt geklebt, verwittert statt versiegelt, gestopft und geklemmt statt ausgeschäumt.

Und bis zur Erreichung der C2C-Idee geht es unserer Meinung nach um die möglichst effiziente Reduktion des Fußabdrucks der eingesetzten Materialien („Null-Emission“ oder „Frei-von“-Strategie). Wie groß ist der Rucksack der Emissionen eines Produktes durch Rohstoffgewinnung, Produktion, Transport und Einbau auf der Baustelle? Und wie bedenklich sind die Inhaltstoffe von Baumaterialien? Bedenklichkeit versteht sich hier mit Blick auf die Ausdünstungen im Innenraum und auf die Weiterverwendung am End of Life.

Ein verschwenderischer Umgang mit Baustoffen ist bis zum – und aus unserer Sicht auch beim – Erreichen der C2C-Prinzipien nicht angesagt.

Aktuell sind nur 8,6 Prozent der deutschen Wirtschaft kreislauffähig. Die Material-Wiederverwendungsquote liegt aktuell bei nur 11 Prozent9. Wir haben also noch eine riesengroße Aufgabe vor uns, um unsere gesamten Wirtschaftsgüter kreislauffähig umzustellen.

Gebäude als Energieproduzenten

Grundlage des Gedankens einer vollständig funktionierenden Kreislaufwirtschaft ist grüne Energie. Denn der Transformationsprozess und die Kreisläufe werden nicht ohne Energiezufuhr funktionieren. Der hohe Energiebedarf von Gebäuden (40 Prozent – siehe weiter oben im Artikel) muss also ausschließlich über erneuerbare Energien gedeckt werden.

Wir haben einen unserer Kunden, Markus Winter, den Geschäftsführer des Unternehmens Windkraft Simonsfeld, zu seinen Erfahrungen aus sechs Jahren Betrieb eines Plusenergie-Gebäudes befragt. Das 2014 errichtete Headquarter des Unternehmens war das erste gewerbliche Plusenergiehaus Niederösterreichs für einen der größten Windstromproduzenten Österreichs. Die Energieerzeugungsanlagen des Gebäudes decken nicht nur den Energieverbrauch des Gebäudes, sondern auch den Verbrauch der Elektroautoflotte des Unternehmens.

Wichtig ist, das Monitoring und die ständige Weiterentwicklung des Konzepts gemeinsam mit unseren MitarbeiterInnen. Wir lernen so ständig dazu und haben beispielsweise fünf Jahre nach Fertigstellung des Gebäudes einen Energiespeicher installiert, der den Autarkiegrad des Gebäudes weiter erhöht. Außerdem sorgt die vielfältige Beschäftigung mit dem Thema Nachhaltigkeit für einen bewussten Umgang der KollegInnen mit dem Thema Energie.

Markus Winter, Geschäftsführer des Unternehmens Windkraft Simonsfeld AG

Nutzungsoffenheit in der Planung mitdenken

Eingesetzte Ressourcen sind so lang wie möglich in der Nutzung zu halten. Das bedeutet, dass Gebäude für eine besonders lange Nutzungszeit ausgelegt werden müssen (zumindest noch solange bis die Prinzipien der Kreislauffähigkeit in der Bauwirtschaft umgesetzt sind).

Dabei gilt eine Frage als weichenstellend: Welchen Bedarf haben wir als Unternehmen zukünftig? Vermutlich kann kaum eine Firmenchefin/ein Firmenchef diese Frage eindeutig beantworten. Je weiter man in die Zukunft blickt, umso verschwommener wird das Bild. Um die Gebäude und Quartiere, die wir heute bauen, möglichst über viele Generationen nutzen zu können, braucht es daher eine höhere Flexibilität. Das bedeutet, dass wir ästhetisch und nutzungsoffen planen und bauen müssen. Gebäude und Städtebau müssen, wie Dorothee Stürmer, Architektin bei B.A.S. Architektur für Büro + Stadt, erläutert, transformationsfähig sein. Mit ihrer in unserem Webinar dargelegten Analyse von Gründerzeitbauten zeigt Stürmer eindrucksvoll, wie die damalige Dichte (die heute in Neubauquartieren nicht annähernd erreicht wird) heute mit vielfältigen Nutzungen belegt ist (Retail, Wohnen, Arbeiten,…). Die im Zeitalter der Kutschen entworfenen großzügigen Straßenzüge zeigen sich so flexibel, dass der heutige Modal Split (die Wahl zwischen verschiedenen Verkehrsmitteln wie Straßenbahnen, Autos, Fahrräder und zu Fuß gehen) abbildbar ist.

Ressourcen im  Außenraum ermöglichen Transformation
"La queue à la porte d'une épicerie Félix Potin", Gemälde von Alfred Decaen und Jacques Guiaud, 1870, Quelle: Wikipedia Commons

Mit dem Blick auf einzelne Gebäude bedeutet dies, dass wir nicht ausschließlich den aktuellen Bedarf der Bauaufgabe abbilden dürfen, sondern Möglichkeitsräume für die Zukunft eröffnen müssen. Über entsprechende Raumhöhen und Raumgrößen sowie flexible Konstruktion und ein bisschen Platz zum Atmen, lassen sich Gebäude resilient auf die noch unbekannten Anforderungen der Zukunft planen und eingesetzte Ressourcen in der Nutzung halten.

Dorothee Stürmer, Architektin bei B.A.S. Architektur für Büro + Stadt

Wer soll das bezahlen?

Die (nicht mehr ganz so) neue, mobile Arbeit ermöglicht uns Gebäude anders zu denken, Flächenbedarf neu zu bewerten und nicht jeden Quadratmeter der Vergangenheit wieder zu bauen. 

Bernhard Herzog, Partner bei M.O.O.CON

Gelingt es die Flächen neu zu bewerten, ist es möglich daraus freiwerdende finanzielle Ressourcen für die Baustoffqualitäten nutzen.

Und die so freiwerdenden Budgetmittel sind mit Sicherheit mehr als Unternehmen benötigen, um in die Baustoffqualität all ihrer neuen Gebäude zu investieren. Eine aktuelle Studie von Buus Consult im Auftrag des DGNB-Systempartners in Dänemark zeigt, dass kein direkter Zusammenhang zwischen Nachhaltigkeit und Baukosten besteht. Wie immer geht es um die Auswahl der richtigen PartnerInnen, das Hinterfragen von Standardlösungen, um die offene Diskussion aller Beteiligten und um AuftraggeberInnen, die wissen was sie wollen.

Fazit

Die Welt hat genug für jedermanns Bedürfnisse, aber nicht für jedermanns Gier.

Mahatma Gandi

 

  • Resilienz ist durch die Nutzungsoffenheit von Gebäuden (Wohnen, Retail, Büro,…) erreichbar.
  • Gebäude müssen transformationsfähig sein. Sie dürfen nicht ausschließlich den aktuellen Bedarf der Bauaufgabe abbilden. Es braucht Möglichkeitsräume für die Zukunft (Raumhöhe und Raumgrößen), um Raum für Generationen hinweg nutzbar zu halten.
  • Beim Materialeinsatz geht es um Ökoeffizienz UND Ökoeffektivität.
    Ökoeffizienz: Es gilt den Umwelteinfluss (ökologischer Fußabdruck) möglichst effizient zu reduzieren („Null-Emission“ oder „Frei-von“-Strategie).
    Ökoeffektivität: Cradle2Cradle („Von der Wiege zur Wiege“) ist die sichere und potenziell unendliche Zirkulation von Materialien und Nährstoffen in Kreisläufen. Alle Inhaltsstoffe sind chemisch unbedenklich und kreislauffähig. Müll im heutigen Sinne gibt es nicht mehr, sondern nur noch nutzbare Nährstoffe.
  • Mehr Energie mit dem Gebäude zu erzeugen als zu verbrauchen ist möglich. Bei unserem Kunden Windkraft Simonsfeld wird sogar noch die rein elektrische Automobilflotte durch das Gebäude versorgt.

Gebäude neu denken in Zeiten der Klimakrise

Wir brauchen einen Wandel in der Art zu bauen und das benötigt ein Umdenken auf vielen Ebenen und von vielen AkteurInnen. Trotzdem sprechen wir weiterhin von Immobilien, deren Hauptmerkmal es ist, dass sie an einen Ort gebunden (also „immobil“) sind. Dies wiederum beeinflusst die Mobilität von uns Menschen.

Wie Immobilien und Mobilität zusammenhängen, erläutern wir in unserem nächsten Artikel.

[1] Quelle: Destatis (2017): Umweltnutzung und Wirtschaft Tabellen zu den Umweltökonomischen Gesamtrechnungen, Teil 4.

[2] Quelle: Energieeffizienz in Zahlen, Entwicklungen und Trends in Deutschland 2018, Bundesministerium für Wirtschaft und Energie

[3] Quelle: Beitrag der erneuerbaren Energien zum Endenergieverbrauch in Deutschland, Umweltbundesamt

[4] Quelle: Daten und Fakten zur Stromerzeugung, Österreichs Energie

[5] Quelle: Bauen und Wohnen, Bundesregierung Deutschland.

[6] Quelle: Klimaschutz: CO2-Emissionen lagen 2017 in Österreich erstmals über der Höchstgrenze, Aktueller Fortschrittsbericht des Nachhaltigkeitsministeriums, Parlament, Republik Österreich

[7] Frischwasserentnahme: ca. 4.000 km³; Sandverbrauch: Schätzungsweise 40 Milliarden Tonnen jährlich (Quelle: www.bpb.de)
Sand als Hauptbestandteil für die Beton- und Zementherstellung ist ein knappes Gut, unregulierter Sandabbau führt zu irreparablen Schäden in unserer Natur

[8] Quelle: Kreislaufwirtschaft Bau Mineralische Bauabfälle Monitoring 2016, Zentralverband des Deutschen Baugewerbes e.V.

[9] Vgl. Ginger Hervey, Ranking How EU Countries Do With the Circular Economy, 17.5.2018, www.politico.eu/article/ranking-how-eu-countries-do-with-the-circular-economy/

Unser Wissen

Die Klima-Trendwende ist unbedingt nötig. Gebäude müssen neu gedacht werden.

 

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