Bauwende, Kreislaufwirtschaft

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13.3.2024

Mind:shift – Arbeit neu denken. Wie viel Bürofläche verträgt der Planet?

Angesichts der Klimakrise und Trends wie Homeoffice oder Workations steht die Frage im Raum: Wie viel Fläche sollte ein Büro tatsächlich noch haben? Ökologische und ökonomische Argumente sprechen dafür, den Schalter in Richtung Suffizienz umzulegen. Die Herausforderung besteht darin, diesen Weg zu beschreiten, ohne Abstriche bei der Effizienz und beim Wohlbefinden der Mitarbeiter:innen zu machen.

Zu Beginn eines jeden „Neue-Arbeitswelt-Projekts“ stehen Entscheidungsträger:innen vor der Aufgabe, den Grundstein für die Ausrichtung zu legen. Er sollte über die folgende Frage definiert sein: Was benötigen wir eigentlich wirklich?

Eine kurze Zusammenfassung des Artikels steht hier kostenlos für Sie zum Download bereit:

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M.O.O.CON Kompass für klimabewusste Gebäude und Arbeitswelten. Hervorgehoben sind jene Kompass-Segmente, die es für Arbeit neu denken jedenfalls braucht. © M.O.O.CON

GESTALTEN

Schreibtische im Büro stehen zu 95 Prozent leer

Ein Kreisdiagramm, basierend auf einer Umfrage unter mehr als 5.000 Teilnehmenden aus verschiedenen Projekten, liefert folgende Erkenntnisse: Wenn man von einem Unternehmen mit 110 Mitarbeitenden ausgeht, befinden sich im Schnitt weniger als ein Viertel an ihren Schreibtischen im Büro. Der Trend zum Homeoffice bringt mit sich, dass viele Mitarbeiter:innen für analoge Meetings, wie Team-Jour-Fixes oder Netzwerken und Austausch ins Büro kommen, wodurch die Nutzung von Schreibtischen über den Tag hinweg abnimmt. Tätigkeiten der Einzelarbeit wandern eher ins Homeoffice. Betrachtet man die Nutzung des Schreibtisches verteilt auf eine 40-Stunden-Woche, kommt man auf eine Belegung von 25 %. Unter Einbeziehung der Wochenenden ist ein Schreibtisch im Büro lediglich zu 5 % seiner Zeit in Gebrauch. 

Für zahlreiche Unternehmen ergibt sich daraus, dass ihre Büroflächen nicht effizient genutzt sind, was das Potenzial bietet, diese zu verkleinern.

 

Ein durchschnittlicher Tag nach Covid

5.557 Teilnehmer:innen, 25 Projekte, Zeitraum 03/2022 - 03/2023

Diese Darstellungen aus einer Umfrage unter M.O.O.CON Kund:innen zeigen, dass die Tätigkeiten „Erledigen“ und „Fokussieren“ zu einem großen Teil im Homeoffice passieren, während „Zusammenarbeit“ und „Vernetzen“ mehr im Büro stattfindet. © M.O.O.CON 

 

Eine Verringerung der Schreibtischanzahl kann erhebliche Einsparungen bei Miete, Betriebs- und Baukosten nach sich ziehen. Trotzdem muss das Büro ein attraktiver, oder sogar noch attraktiverer, Arbeitsort sein, um im heutigen Wettbewerb mit dem Homeoffice bestehen zu können.

Auf Basis der nächsten Grafik haben wir einen einfachen Flächenvergleich vorbereitet für die 110 Mitarbeiter:innen aus dem Beispiel1:

Bei einer Eins-zu-Eins-Belegung von Schreibtischen bräuchten 110 Mitarbeiter:innen 128 Achsen (1,2 pro Mitarbeiter:in), während bei einer Desk-Sharing-Quote von 0,5 nur 85 Achsen (0,8 pro Mitarbeiter:in) gebraucht würden. Die Einsparung beträgt in diesem Beispiel erstaunliche 35 Prozent. © M.O.O.CON

 

Obwohl laut dem Tätigkeitsprofil aus unserem Beispiel eine Desk-Sharing-Quote (DSQ) von 0,34 (inklusive Reservefaktoren) möglich wäre, haben wir uns für eine konservativere Rate von 0,5 entschieden. Dies ermöglicht es nicht nur, potenzielles zukünftiges Wachstum zu berücksichtigen, sondern auch anfängliche Bedenken bei Mitarbeitenden zu mildern und somit eine höhere Akzeptanz sicherzustellen. Bei der aktuellen Belegung laut Grafik würden alle 46 anwesenden Personen ausreichend Schreibtisch-Arbeitsplätze vorfinden, zusätzlich zu anderen Arbeitsmöglichkeiten und Besprechungsräumen. Die Einführung neuer Arbeitswelten hält nicht nur eine breite Palette an Arbeitsmöglichkeiten bereit, sondern optimiert auch die Flächennutzung und führt zu einer Reduktion der Bürogröße um ein Drittel, was ebenfalls die damit verbundenen Errichtungs- oder Miet- und Betriebskosten senkt.

Die folgenden Grafiken veranschaulichen:

  • Kein Sharing = mehr Flächenbedarf bei WENIGER Arbeitsmöglichkeiten.
  • Sharing = Einsparung bei der Fläche und ein MEHR an Arbeitsmöglichkeiten.

Anzahl Nutzungsmodule auf 110 Mitarbeiter:innen

  • bei keiner Sharing Rate -> 128 Achsen -> 158 Arbeitsmöglichkeiten

  • bei einer Sharing Rate von 0,5 -> 58 Achsen -> 173 Arbeitsmöglichkeiten

Grafiken: © M.O.O.CON 

BETREIBEN

Vielfältige Orte der Arbeit statt „Schreibtischwüsten“ bereitstellen

Während die Anpassung der Desk-Sharing-Quote und die Optimierung der Bürofläche konkrete Schritte zur Effizienzsteigerung und Kostensenkung darstellen, öffnet sich zugleich ein Dialog über die tiefergehende Bedeutung von Schreibtischen und deren Symbolik im Arbeitskontext.
Der Schreibtisch repräsentiert weit mehr als eine bloße Arbeitsmöglichkeit. Abhängig von seiner Größe und ob er sich in einem offenen Raum oder einem Einzelbüro befindet, symbolisiert er auch Status und Macht. Selbst in digitalen Parallelwelten, wie beispielsweise in GatherTown dargestellt, behält der Schreibtisch seine Bedeutung.

So sieht die Oberfläche von GatherTown aus – einer virtuellen Büro-Parallelwelt. Im ersten Schritt wird die passendste Büroumgebung gewählt. © GatherTown

EXKURS

GatherTown

GatherTown ist eine von vielen Online-Plattformen, die insbesondere während der Pandemie an Beliebtheit gewann, um diverse Veranstaltungen, von internationalen Konferenzen bis hin zu Vereinsbesprechungen, online durchzuführen und virtuelle Zusammenarbeit aus dem Homeoffice realitätsnah zu gestalten. Nutzer:innen bewegen sich mit Avataren durch virtuelle Räume, teilen ihre Kamera und ihren Ton. Sobald zwei oder mehrere Avatare einander nahekommen, können sich die User gegenseitig sehen und hören. In den virtuellen Bürozwillingen erleben Mitarbeitende durch Gamification-Elemente geförderte Kommunikation ein verstärktes Gefühl der Verbundenheit.

Einmal in die virtuelle Bürowelt eingetaucht, wählen Nutzer:innen ihre Arbeitsumgebung: Schreibtische, Lounges, Meetingräume und viele andere Bereiche existieren auch in der Online-Arbeitswelt. © GatherTown

 

Neben der spielerischen Interaktion auf solchen Plattformen gibt es weitere Maßnahmen Mitarbeiter:innen im Homeoffice zu unterstützen: Bereitstellung von Arbeitsmitteln wie Bildschirmen, ergonomischen Stühlen, etc., Beiträge zu Internetkosten, das Angebot von Ökostromtarifen und sogar Essenslieferdienste aus der Firmenkantine. 

Das sind durchaus hilfreiche Ansätze, um den Arbeitsalltag im Homeoffice effizienter zu gestalten und spontane Abstimmungen auch remote zu gewährleisten. Wichtig ist, dass Mitarbeiter:innen, die von zuhause aus arbeiten, weiterhin Wertschätzung und Zugehörigkeit vermittelt werden, sei es durch Incentives wie diese oder andere Formen der Kulturschaffung.

So unterstützt die Verhaltensbiologie den Mind:shift 

Im Zuge unseres Webinars „Mind:shift – Arbeit neu denken“ erörterten wir unterschiedliche Aspekte von neuen, nachhaltigen Arbeitswelten gemeinsam mit der Verhaltensbiologin und Evolutionspsychologin Elisabeth Oberzaucher, Universität Wien, und Babette Grabner, Studiengangsleiterin Gesundheits- und Krankenpflege der FH Salzburg, die ein hervorragendes Best-Practice-Beispiel aus dem Fachhochschulbereich präsentierte. 

Dr. Elisabeth Oberzaucher, Universität Wien
Gast in unserem Webinar "Arbeit neu denken"

Im Arbeitskontext ist es entscheidend, Hierarchie und Territorialität miteinander zu verbinden. Beide Aspekte basieren auf verhaltensbiologischen Strategien und Konzepten mit einem klaren Ziel: Sie sollen räumlich-soziale Interaktionen steuern und dadurch das Konfliktpotenzial minimieren. Durch ihren örtlichen Kontext sind die Regeln für alle bekannt und bieten einen festen Anhaltspunkt.

 

Zusätzliche Abstimmungen oder formelle Konventionen sind überflüssig, solange räumliche oder hierarchische Strukturen bestehen. Fehlen diese Strukturen jedoch, kann es zu Unklarheiten bei Regeln und Verhaltensstrategien führen. Ein entstehendes Vakuum verstärkt das Konfliktpotenzial erheblich, so die Expertin. Dies erfordert im Büroalltag einen erhöhten Kommunikationsaufwand und eingehende Diskussionen über die Grundprinzipien der Beziehungen am Arbeitsplatz. Es ist wichtig, dass alle Beteiligten gemeinsam die Richtlinien entwickeln, und diese im Laufe der Zeit regelmäßig anpassen und reflektieren.

Die „Herde“ nicht zu groß werden lassen

Bei der Gestaltung neuer Arbeitsflächen, in denen Arbeitsplätze und -möglichkeiten geteilt werden, ist es wichtig, die Anzahl der Nutzer:innen im Auge zu behalten. Eine optimale Gruppengröße, die von Nähe und Vernetzung profitiert, liegt bei etwa 30-50 Personen. Diese Größenordnung hat sich auch in unseren Kundenprojekten oft als ideal für die Bildung von sogenannten Homebases, Abteilungen oder Teams erwiesen, die sich gemeinsame Arbeitsbereiche teilen. 
In einer Arbeitsumgebung ab 150 Mitarbeitenden ist die Einführung formellerer Strukturen erforderlich, um eine funktionale Organisation zu gewährleisten. Ein Beispiel dafür sind Buchungssysteme für Arbeitsplätze.

EXKURS

Learning Journeys – von anderen Welten lernen

Learning Journeys sind ein wichtiger Bestandteil in unseren Kundenprojekten, weil Kund:innen so einen bedeutsamen Lernerfolg erzielen: 

Der Besuch anderer Arbeitswelten erweitert den Blickwinkel und fördert das Verständnis. Häufig überwältigt die Komplexität der Umsetzung von neuen Konzepten, da die eigene Vorstellungskraft begrenzt ist; Exkursionen schließen Wissenslücken und fördern den Austausch über unterschiedliche Themen. Sie eröffnen neue Wege für Inspiration und die Möglichkeit, von der Gestaltung anderer Räume zu lernen und regen zur Auseinandersetzung mit der eigenen Arbeitsrealität an. 

Babette Grabner berichtet im Webinar darüber, wie essenziell es für sie und ihre Projektbeteiligten war, verschiedene Arbeitsumgebungen zu erkunden. Einige Konzepte erschienen für ihre künftigen Anforderungen passend, während andere für ihre spezifischen Arbeitsweisen und Aufgabentypen weniger passend waren.

NUTZEN

Bewusst handeln und Mitarbeitende einbinden

Flächenreduktion ist eher als (Neben-)Ergebnis des Prozesses zu betrachten, als primärer Ansatz neuer Arbeitsumgebungen steht die optimierte Nutzung und der Zugewinn an vielfältigen, auf die Tätigkeit abgestimmten Arbeitsmöglichkeiten und die dadurch gewonnene Flexibilität im Vordergrund.

Hier sehen wir zwei fiktive Tagesabläufe in einer 1:1 Belegung und in einer tätigkeitsorientierten Büroumgebung.

Die Tätigkeiten in der 1:1 Büro passieren großenteils am Schreibtisch – egal, ob Videokonferenzen, spontane Abstimmungen, Meeting-Vorbereitungen oder fokussierte Arbeit. 

Im Vergleich: In der anderen, tätigkeitsorientierten Arbeitswelt gibt es passende Arbeitsmöglichkeiten für die Vielfalt eines Büroalltages. © M.O.O.CON

 

Doch die Einführung von Desk Sharing schafft oft die Befürchtung, dass Mitarbeiter:innen sich entpersonalisiert fühlen könnten. Elisabeth Oberzaucher erläutert, wie persönliche Wertschätzung in solch einer Arbeitsumgebung gelingen kann:

Sie sollte nicht an der Größe des Schreibtisches festgemacht werden. Aktuell sind unsere Denkweisen durch die Pandemie weiter fortgeschritten als die vorhandenen Strukturen, welche nur langsam nachziehen. Die Arbeitsweisen haben sich bereits an die Post-Corona-Realität angepasst, während strukturelle Anpassungen und kulturschaffende Prozesse erst allmählich erfolgen.

Die Art Mitarbeiter:innen zu führen muss sich zudem weiterentwickeln: Hierarchien werden flacher, Einzelbüros seltener, Schreibtische kleiner und weniger, und Büros leerer. Eine Entwicklung von Kontrolle zu Vertrauen beziehungsweise von Arbeitszeit zu Arbeitsergebnis ist unumgänglich.

Wie kann Führung unter diesen Bedingungen noch effektiv gestaltet werden? Wie gestaltet man als Führungskraft Teamzusammenhalt, in Zeiten in denen sich Mitarbeiter:innen nicht täglich oder sogar nur wöchentlich im Büro begegnen? Wie organisiert man soziales Zusammenkommen und schafft Orte der Verbundenheit?

Antworten auf diese und weitere Fragen bietet die Studie "Longing for Belonging" - Wie verbunden sind wir in der flexiblen Arbeitswelt?

Babette Grabner, FH Salzburg,
Gast in unserem Webinar "Arbeit neu denken"

Die aktive Einbindung der künftigen Arbeitswelt-Nutzer:innen war ein entscheidender Beitrag zum Erfolg des Projektes und entwickelte früh eine Vorfreude auf die neuen Räumlichkeiten. Durch die Partizipation und den regen Austausch in den Workshops, konnten Bedürfnisse erfasst werden und in die Realisierung einfließen.

 

Ein Ansatz ist Mitarbeiter:innen als Mit-Gestalter:innen in den Mittelpunkt zu stellen. Das steigerte bei der FH Salzburg das Wohlbefinden der Betroffenen erheblich. Im Vordergrund war nicht die Sorge um die Anzahl der Schreibtische, sondern die Aufmerksamkeit auf die tatsächlichen Bedürfnisse der Nutzer:innen und die Vorfreude auf die vielfältigen Arbeitsmöglichkeiten. 

Mehr Identifikation der Angestellten schaffte die FH Salzburg durch die Einbindung der Mitarbeitenden im Gestaltungsprozess und auch mit Kleinigkeiten: Besprechungsräume benannte man beispielsweise nach Heilpflanzen:

FAZIT

Angesichts des Fachkräftemangels und des Phänomens von „Quiet Quitting “* ist es entscheidend, sich als Arbeitgeber:in zu differenzieren und den aktuellen Mitarbeiter:innen Anerkennung und Vertrauen zu schenken statt Schreibtischen. Es ist von grundlegender Bedeutung, dass ihre Bedürfnisse Beachtung finden und sie aktiv in die Gestaltung ihrer Arbeitsumgebung einbezogen werden – ein Schlüsselelement für den Erfolg bei der Umsetzung von Veränderungen.

Gleichzeitig gewinnen die Bedürfnisse unseres Planeten für viele Mitarbeiter:innen zunehmend an Wichtigkeit. Personen mit einem Lebensstil, der auf Gesundheit und Nachhaltigkeit ausgerichtet ist, machen einen entscheidenden Anteil der heutigen und künftigen Arbeitskräfte aus und prägen die Arbeitswelt nachhaltig. Um auch in Zukunft für diese Gruppe attraktiv zu sein, ist es essenziell, sowohl ökonomische als auch ökologische Ziele zu verfolgen, und schon heute Haltung zu zeigen und aktiv Flächen zu reduzieren und optimaler zu nutzen.

*Fußnote: „Quiet Quitting" bezeichnet die Situation, in der Angestellte nur noch die Mindestanforderungen ihrer Rolle erfüllen und sich weigern, darüber hinaus Engagement zu zeigen. Dieses Phänomen reflektiert oft eine größere Unzufriedenheit mit dem Arbeitsumfeld oder dem Fehlen einer als angemessen wahrgenommenen Anerkennung, Wertschätzung und Belohnung. Es ist wichtig zu betonen, dass „Quiet Quitting“ nicht bedeutet, dass die Person ihren Job kündigt, sondern dass sie sich innerlich von zusätzlichem Engagement zurückzieht.

1 Dieses Beispiel vereinfacht die Realität; tatsächliche Abweichungen aufgrund spezieller Anforderungen, aktueller Fläche und Nutzung, Größe von Konferenzbereichen, Teeküchen oder Kantinen sowie architektonische Besonderheiten müssen individuell berücksichtigt werden.

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